1. C-413/23 P – Europäischer Datenschutzbeauftragter / Einheitlicher Abwicklungsausschuss (SRB)
Urteil vom 4. September 2025
Kernaussage:
Der EuGH entschied, dass personenbezogene Daten auch dann vorliegen können, wenn sie pseudonymisiert wurden, sofern der Empfänger die Möglichkeit hat, die Person mittelbar zu identifizieren. Die Beurteilung des Personenbezugs richtet sich danach, ob eine „vernünftige Wahrscheinlichkeit“ der Re-Identifikation besteht. Maßgeblich ist die Perspektive des jeweiligen Datenempfängers.
Folgen:
- Pseudonymisierte Daten sind nicht automatisch anonym.
- Datenschutzinformationen müssen auch bei interner Pseudonymisierung vollständig erteilt werden.
- Behörden und Unternehmen müssen ihre Datenschutzbewertungen nach Art. 4 Nr. 1 DSGVO und Art. 14 DSGVO präzisieren.
- Auswirkungen insbesondere auf statistische Datenübermittlungen, interne Audits und Data-Sharing-Modelle.
2. C-351/23 – GR REAL (Große Kammer)
Urteil vom 24. Juni 2025
Kernaussage:
Der EuGH stellte klar, dass nationale Vollstreckungsverfahren, die zur Versteigerung oder Zwangsverwertung des Eigenheims eines Verbrauchers führen, nur dann unionsrechtskonform sind, wenn der Betroffene zuvor die Möglichkeit hat, missbräuchliche Vertragsklauseln gerichtlich prüfen zu lassen. Eine rein außergerichtliche Zwangsversteigerung ohne gerichtliche Kontrolle verstößt gegen Art. 6 und 7 der Verbraucherschutzrichtlinie 93/13/EWG und Art. 47 der EU-Grundrechtecharta.
Folgen:
- Banken und Inkassounternehmen müssen sicherstellen, dass Verbraucher vor Verwertung gerichtlichen Rechtsschutz erhalten.
- Nationale Verfahrensordnungen müssen überprüft werden.
- Potenziell rückwirkende Auswirkungen auf laufende Vollstreckungsverfahren.
- Anwälte sollten bei Immobilienzwangsvollstreckungen unionsrechtliche Prüfungsrechte ausdrücklich geltend machen.
3. C-97/24 – Minister for Children
Urteil vom 1. August 2025
Kernaussage:
Ein Mitgliedstaat darf sich nicht auf „außergewöhnliche Umstände“ oder „unvorhersehbare Migrationsströme“ berufen, um elementare Aufnahmebedingungen von Asylsuchenden (Unterkunft, Nahrung, medizinische Versorgung) zu unterschreiten. Verstöße können unionsrechtliche Staatshaftung nach sich ziehen.
Folgen:
- Mindeststandards aus der Aufnahmerichtlinie 2013/33/EU gelten absolut.
- Kommunen und Länder müssen Notfallpläne unionsrechtskonform ausgestalten.
- Haftungsansprüche von Asylsuchenden gegen Mitgliedstaaten werden erleichtert.
4. C-758/24 & C-759/24 – Alace / Canpelli
Urteil vom 1. August 2025
Kernaussage:
Die Einstufung von „sicheren Herkunftsstaaten“ muss gerichtlich überprüfbar sein. Behörden und Gerichte müssen Zugang zu den Informationsquellen erhalten, auf die sich die Einstufung stützt. Eine pauschale Annahme der Sicherheit eines Landes ohne individuelle oder überprüfbare Datengrundlage ist unzulässig.
Folgen:
- Safe-Country-Listen und beschleunigte Asylverfahren müssen überprüft werden.
- Nationale Regelungen zur „Unanfechtbarkeit“ solcher Einstufungen sind unionsrechtswidrig.
- Auswirkungen auf Grenzverfahren und mögliche Offshoring-Asylmodelle.
5. C-666/23 – Volkswagen AG („Thermofenster II“)
Urteil vom 1. August 2025
Kernaussage:
Der EuGH entschied, dass Fahrzeughersteller auch dann haften, wenn ein Fahrzeug eine EG-Typgenehmigung besitzt, sofern unzulässige Abschalteinrichtungen verwendet wurden. Die nationale Schadensersatzhöhe kann auf 15 % des Kaufpreises begrenzt sein, solange der Ausgleich „angemessen“ bleibt.
Folgen:
- Fortsetzung der Diesel-Verfahren mit klarer Haftungsgrundlage.
- Nationale Gerichte müssen Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit der Entschädigung konkret prüfen.
- Vergleichsangebote von Herstellern müssen transparent und überprüfbar sein.
6. C-71/23 P & C-82/23 P – Frankreich / CWS Powder Coatings u. a. (Titandioxid-Fall)
Urteil vom 1. August 2025
Kernaussage:
Der EuGH bestätigte, dass die Einstufung bestimmter Titandioxid-Pulverformen als krebserzeugend fehlerhaft war, da die wissenschaftliche Bewertung und Begründung der Kommission unzureichend war.
Folgen:
- Die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) muss Bewertungsverfahren transparenter gestalten.
- Hersteller dürfen die bisherigen Warnhinweise entfernen, sofern keine andere Gefährdungsklassifizierung vorliegt.
- Auswirkungen auf CLP- und REACH-Compliance zahlreicher Industrien (Farben, Bauprodukte, Kunststoffe).
7. C-200/24 – Kommission / Polen (Apothekenwerbung)
Urteil vom 19. Juni 2025
Kernaussage:
Das generelle Werbeverbot für Apotheken in Polen verstößt gegen die Dienstleistungsfreiheit und das Prinzip der Verhältnismäßigkeit. Ein Werbeverbot ist nur zulässig, wenn es nachweislich dem Gesundheitsschutz dient und verhältnismäßig ausgestaltet ist.
Folgen:
- Nationale Werbebeschränkungen für Apotheken in anderen Mitgliedstaaten (z. B. Deutschland, Österreich) stehen unionsrechtlich auf dem Prüfstand.
- Anpassung der Berufsordnungen für Apotheker und Heilberufe erforderlich.
- Rechtliche Öffnung für Online- und Telemedizinwerbung.
8. C-665/23 – Veracash (PSD2)
Urteil vom 1. August 2025
Kernaussage:
Ein Kunde verliert seinen Anspruch auf Rückerstattung einer unautorisierten Zahlung, wenn er die Transaktion verspätet meldet und dabei grob fahrlässig gehandelt hat. Die 13-Monats-Frist der Zahlungsdiensterichtlinie (EU) 2015/2366 ist keine absolute Ausschlussfrist, wenn grobe Fahrlässigkeit vorliegt.
Folgen:
- Banken und Zahlungsdienstleister dürfen verspätete Reklamationen ablehnen, wenn dem Kunden Sorgfaltspflichtverletzungen nachgewiesen werden.
- AGB-Klauseln müssen präzisiert werden.
- Verbraucher müssen über Meldefristen und Haftungsfolgen besser aufgeklärt werden.
9. C-618/23 – SALUS (Bio-Logo und Arzneimittelrecht)
Urteil vom 26. Juni 2025
Kernaussage:
Produkte, die als traditionelle pflanzliche Arzneimittel registriert sind, dürfen nicht zugleich mit dem EU-Bio-Logo beworben werden. Das Logo darf nur für Lebensmittel im Sinne der Verordnung (EU) 2018/848 verwendet werden.
Folgen:
- Hersteller müssen sich zwischen Lebensmittel- und Arzneimittelstatus entscheiden.
- Verstöße können als irreführende Kennzeichnung geahndet werden.
- Pharmazeutische Unternehmen müssen ihre Produktkennzeichnung und Marketingstrategie überarbeiten.
