Welche Rechtsgebiete beeinflusst das EU-Recht besonders?

Das EU-Recht erstreckt sich auf zahlreiche Rechtsgebiete, da die Europäische Union in vielen Bereichen Gesetzgebungs- und Regelungskompetenzen besitzt. Diese können von den Mitgliedstaaten vollständig übernommen, parallel geregelt oder ergänzt werden.


1. Binnenmarkt und Wirtschaft

a) Freier Warenverkehr (Art. 28-37 AEUV)

Der freie Warenverkehr gewährleistet den ungehinderten Handel von Gütern innerhalb der EU. Zölle, Einfuhrbeschränkungen und ähnliche Maßnahmen sind verboten.

Beispiel und Rechtsprechung:

  • Az: C-120/78 – Cassis de Dijon: Der EuGH entschied, dass ein Mitgliedstaat keine nationalen Vorschriften anwenden darf, die den Import rechtmäßig hergestellter Produkte aus anderen Mitgliedstaaten behindern, es sei denn, es liegen zwingende Gründe des Allgemeininteresses vor.

b) Freier Personenverkehr (Art. 45-48 AEUV)

EU-Bürger dürfen sich in der gesamten Union frei bewegen, arbeiten und niederlassen.

Beispiel und Rechtsprechung:

  • Az: C-85/96 – Martínez Sala: Eine spanische Staatsbürgerin hatte Anspruch auf Sozialleistungen in Deutschland, da sie sich rechtmäßig dort aufhielt.
  • Az: C-413/99 – Baumbast: Der EuGH stärkte die Freizügigkeitsrechte von Familienangehörigen eines EU-Bürgers, auch wenn dieser nicht erwerbstätig ist.

c) Freier Dienstleistungsverkehr (Art. 56-62 AEUV)

Dienstleister können ihre Leistungen in anderen EU-Mitgliedstaaten anbieten, ohne dort dauerhaft ansässig zu sein.

Beispiel und Rechtsprechung:

  • Az: C-33/74 – Van Binsbergen: Nationale Vorschriften, die den freien Dienstleistungsverkehr behindern, sind unzulässig, es sei denn, sie dienen zwingenden Interessen.

d) Freier Kapital- und Zahlungsverkehr (Art. 63-66 AEUV)

Kapital und Zahlungen dürfen ohne Einschränkungen zwischen Mitgliedstaaten fließen.

Beispiel und Rechtsprechung:

  • Az: C-112/05 – Kommission gegen Deutschland: Der EuGH erklärte bestimmte Beschränkungen des Kapitalverkehrs durch staatliche Eingriffe in privatisierte Unternehmen für unzulässig.

2. Wettbewerbsrecht (Art. 101-109 AEUV)

Die EU regelt den Wettbewerb auf Binnenmarktebene, um Monopole und wettbewerbswidriges Verhalten zu verhindern.

a) Kartellrecht (Art. 101 AEUV)

Kartelle oder Absprachen zwischen Unternehmen, die den Wettbewerb beschränken, sind verboten.

Beispiel und Rechtsprechung:

  • Az: C-56/64 – Consten und Grundig: Der EuGH entschied, dass Absprachen über exklusive Vertriebsrechte den Wettbewerb beschränken können.

b) Missbrauch von Marktmacht (Art. 102 AEUV)

Unternehmen dürfen ihre marktbeherrschende Stellung nicht missbrauchen.

Beispiel und Rechtsprechung:

  • Az: C-7/97 – Bronner: Der EuGH legte fest, wann ein Unternehmen den Zugang zu einer essenziellen Infrastruktur verweigern darf.

c) Beihilfenkontrolle (Art. 107-108 AEUV)

Staatliche Subventionen, die den Wettbewerb verfälschen könnten, sind grundsätzlich verboten.

Beispiel und Rechtsprechung:

  • Az: C-730/79 – Philip Morris: Der EuGH untersuchte die Vereinbarkeit staatlicher Subventionen für Unternehmen mit dem Binnenmarkt.

3. Umweltrecht

Das EU-Umweltrecht basiert auf Art. 191-193 AEUV und regelt Themen wie Luftqualität, Gewässerschutz, Abfallwirtschaft und Klimaschutz.

Beispiel und Rechtsprechung:

  • Az: C-237/07 – Janecek: Der EuGH entschied, dass Bürger das Recht haben, Maßnahmen zur Luftreinhaltung einzufordern.
  • Az: C-411/17 – Inter-Environnement Wallonie: Der EuGH erklärte, dass Umweltverträglichkeitsprüfungen gemäß EU-Richtlinien durchgeführt werden müssen.

4. Verbraucherschutzrecht

Die EU schützt Verbraucherrechte, z. B. bei Vertragsabschlüssen, Produktstandards und digitalen Dienstleistungen.

Beispiel und Rechtsprechung:

  • Az: C-362/14 – Schrems: Der EuGH kippte das „Safe Harbor“-Abkommen, da es unzureichenden Schutz für personenbezogene Daten europäischer Verbraucher in den USA bot.
  • Az: C-618/10 – Banco Español de Crédito: Der EuGH entschied, dass missbräuchliche Vertragsklauseln in Verbraucherkreditverträgen nicht bindend sind.

5. Asyl- und Migrationsrecht

Die EU regelt die Aufnahme, den Schutz und die Rückführung von Flüchtlingen und Migranten.

Beispiel und Rechtsprechung:

  • Az: C-411/10 und C-493/10 – N.S. und andere: Der EuGH entschied, dass ein Mitgliedstaat keine Asylbewerber in einen anderen Mitgliedstaat abschieben darf, wenn dort systematische Mängel im Asylsystem bestehen.
  • Az: C-163/17 – Jawo: Klärung der Rückführungsregeln für Flüchtlinge gemäß der Dublin-Verordnung.

6. Arbeitsrecht

Die EU regelt Themen wie Arbeitszeit, Diskriminierung und Arbeitsschutz.

Beispiel und Rechtsprechung:

  • Az: C-55/18 – Federación de Servicios de Comisiones Obreras (CCOO): Der EuGH entschied, dass Arbeitgeber die Arbeitszeit der Mitarbeiter systematisch erfassen müssen.
  • Az: C-144/04 – Mangold: Der EuGH erklärte, dass nationale Regelungen, die älteren Arbeitnehmern den Zugang zu unbefristeten Verträgen verweigern, eine Diskriminierung darstellen.

7. Datenschutzrecht

Die EU hat mit der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) strikte Standards für den Schutz personenbezogener Daten festgelegt.

Beispiel und Rechtsprechung:

  • Az: C-311/18 – Schrems II: Der EuGH erklärte den EU-USA-Datenschutzschild für ungültig und schärfte die Anforderungen an den internationalen Datentransfer.
  • Az: C-131/12 – Google Spain: Einführung des „Rechts auf Vergessenwerden“.

8. Gesundheit und Lebensmittelsicherheit

Die EU reguliert Standards für Arzneimittel, Lebensmittelsicherheit und Gesundheitsversorgung.

Beispiel und Rechtsprechung:

  • Az: C-528/16 – Confédération paysanne: Der EuGH entschied, dass neue Züchtungsmethoden für Pflanzen (CRISPR) unter die Gentechnikrichtlinie fallen.
  • Az: C-320/93 – Faccini Dori: Klärung des Verbraucherschutzes im Rahmen von Vertragsabschlüssen über Fernabsatz.

9. Steuerrecht

Zwar ist die Steuerpolitik grundsätzlich national geregelt, jedoch greift die EU bei Harmonisierung des Mehrwertsteuerrechts oder Bekämpfung von Steuerflucht ein.

Beispiel und Rechtsprechung:

  • Az: C-446/03 – Marks & Spencer: Klärung der Möglichkeit, Verluste von Tochtergesellschaften in anderen EU-Mitgliedstaaten steuerlich geltend zu machen.

10. Außenhandel und Zollrecht

Die EU hat exklusive Kompetenzen im Bereich der Handelspolitik (Art. 206-207 AEUV).

Beispiel und Rechtsprechung:

  • Az: C-104/16 P – Rat gegen Front Polisario: Der EuGH entschied, dass Handelsabkommen mit Marokko nicht für die Westsahara gelten können.

EU-Recht

Das EU-Recht deckt zahlreiche Rechtsgebiete ab, die den Alltag der Bürger und die nationalen Rechtssysteme stark beeinflussen. Europarechtler arbeiten oft an der Schnittstelle zwischen nationalem und EU-Recht, sei es bei der Beratung von Unternehmen, der gerichtlichen Vertretung oder der politischen Arbeit an Gesetzen. Falls du ein bestimmtes Rechtsgebiet detaillierter analysiert haben möchtest, lass es mich wissen!

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