Typische Verfahren vor europäischen Gerichten

Europäische Gerichte befassen sich mit verschiedenen Verfahren, die durch die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten geregelt werden. Die wichtigsten Gerichte sind der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) mit Sitz in Luxemburg und das Gericht der Europäischen Union (EuG). Im Folgenden erläutere ich umfassend die wichtigsten Verfahren, ihre Ausgestaltung und die Rolle der Europarechtler.


1. Direktklagen vor dem EuGH und dem EuG

a) Nichtigkeitsklage (Art. 263 AEUV)

Mit der Nichtigkeitsklage kann die Rechtmäßigkeit von Handlungen der EU-Organe (z. B. Verordnungen, Richtlinien, Beschlüsse) überprüft werden. Ziel ist es, diese Handlungen für nichtig erklären zu lassen.

Beispiele und Rechtsprechung:

  • Az: C-294/83 – Les Verts: Der EuGH entschied, dass der Europäische Parlament einer Kontrolle unterliegt, um den Grundsatz der Gewaltenteilung zu wahren.
  • Az: C-376/98 – Tabakrichtlinie: Es wurde überprüft, ob die EU ihre Kompetenzen beim Erlass einer Richtlinie überschritten hatte. Teile der Richtlinie wurden aufgehoben.

Ausgestaltung:

  • Kläger: Mitgliedstaaten, EU-Institutionen oder in Ausnahmefällen Privatpersonen.
  • Prüfung der Klagebefugnis: Privatpersonen können nur klagen, wenn sie unmittelbar und individuell betroffen sind (sog. Plaumann-Formel).
  • Ergebnis: Nichtigkeit oder Bestätigung der Maßnahme.

b) Untätigkeitsklage (Art. 265 AEUV)

Mit der Untätigkeitsklage kann überprüft werden, ob ein EU-Organ es unterlassen hat, eine Handlung vorzunehmen, zu der es rechtlich verpflichtet war.

Beispiel:

  • Az: C-13/83 – Parlament gegen Rat: Das Parlament rügte, dass der Rat es versäumt hatte, bestimmte Maßnahmen zu ergreifen. Der EuGH stellte fest, dass der Rat verpflichtet gewesen wäre zu handeln.

Ausgestaltung:

  • Kläger: Mitgliedstaaten, Organe der EU oder Privatpersonen.
  • Voraussetzung: Das betreffende Organ muss zuvor formal zur Handlung aufgefordert worden sein.

2. Vorabentscheidungsverfahren (Art. 267 AEUV)

Das Vorabentscheidungsverfahren dient der Klärung von Fragen zur Auslegung des EU-Rechts oder zur Gültigkeit von EU-Rechtsakten. Nationale Gerichte legen dem EuGH Fragen vor, um eine einheitliche Anwendung des EU-Rechts sicherzustellen.

Beispiele und Rechtsprechung:

  • Az: C-26/62 – Van Gend & Loos: Der EuGH entschied, dass EU-Recht direkte Wirkung haben kann und Bürger sich auf Rechte aus dem EU-Recht berufen können.
  • Az: C-213/89 – Factortame: Klärung, dass nationales Recht bei Widerspruch mit EU-Recht keine Anwendung finden darf.

Ausgestaltung:

  • Nationale Gerichte stellen Fragen an den EuGH.
  • Der EuGH gibt eine verbindliche Auslegung.
  • Ziel: Einheitlichkeit des EU-Rechts in den Mitgliedstaaten.

3. Vertragsverletzungsverfahren (Art. 258-260 AEUV)

Hierbei wird geprüft, ob ein Mitgliedstaat gegen EU-Recht verstoßen hat. Die Europäische Kommission oder ein anderer Mitgliedstaat kann das Verfahren einleiten.

Beispiele und Rechtsprechung:

  • Az: C-152/84 – Marshall: Großbritannien wurde verurteilt, weil es die Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Arbeitsrecht nicht gewährleistet hatte.
  • Az: C-494/01 – Kommission gegen Irland: Irland wurde wegen mangelnden Umweltschutzes verurteilt.

Ausgestaltung:

  1. Vorverfahren: Die Kommission fordert den Mitgliedstaat formell zur Stellungnahme und zur Behebung des Verstoßes auf.
  2. Klage beim EuGH: Bei ausbleibender Reaktion erfolgt die gerichtliche Klärung.
  3. Sanktionen: Geldbußen oder Zwangsgelder.

4. Schadensersatzklagen (Art. 268, 340 AEUV)

Privatpersonen oder Unternehmen können die EU auf Schadensersatz verklagen, wenn ein EU-Organ rechtswidrig gehandelt hat und dadurch ein Schaden entstanden ist.

Beispiele und Rechtsprechung:

  • Az: C-352/98 – Bergaderm: Der EuGH legte fest, unter welchen Bedingungen ein Schadensersatzanspruch gegenüber der EU besteht.
  • Az: T-212/03 – MyTravel: Schadensersatzklage wegen fehlerhafter Entscheidungen der EU-Kommission.

Ausgestaltung:

  • Kläger: Privatpersonen oder Unternehmen.
  • Voraussetzungen: Verletzung einer Rechtsnorm, die dem Schutz der Kläger dient, sowie ein kausal entstandener Schaden.

5. Weitere Verfahren

a) Einstweilige Anordnungen (Art. 278-279 AEUV)

  • Möglichkeit, während eines Hauptsacheverfahrens vorläufige Maßnahmen zu beantragen.
  • Beispiel: Az: C-441/17 P(R) – Maßnahmen zur Aussetzung von Sanktionen.

b) Disziplinarverfahren gegen Beamte (Art. 270 AEUV)

  • Verfahren, die Streitigkeiten zwischen der EU und ihren Beamten betreffen.

Rolle der Europarechtler

a) Beratung und Vertretung

  • Vertretung von Privatpersonen, Unternehmen oder Staaten in Verfahren vor dem EuGH und dem EuG.
  • Unterstützung bei der Einreichung von Klageschriften, Schriftsätzen und Beweisanträgen.

b) Gutachtertätigkeit

  • Erstellung von Gutachten zur Vereinbarkeit nationaler oder europäischer Gesetze mit dem EU-Recht.

c) Vorbereitung von Vertrags- und Gesetzesänderungen

  • Europarechtler arbeiten in Ministerien, Anwaltskanzleien und internationalen Organisationen, um rechtliche Änderungen vorzubereiten.

d) Unterstützung von Unternehmen

  • Unternehmen werden beraten, wie sie EU-Richtlinien und Verordnungen umsetzen können.

 

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